30. November 2018, Episode 31
Zukker im Leben (D)
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Guten Tag, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, heute ist der 7. Dezember herzlich willkommen zur Sendung “Typisch Helene”. Es ist meine letzte Sendung heute, und ich verabschiede mich von Ihnen mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Mit einem lachenden Auge, weil es Nora Zukker wieder so gut geht, dass sie ihre Sendung wieder aufnehmen kann. Und mit einem weinenden Auge, weil ich die Arbeit im Studio vermissen werde. Aber bevor ich nun allzu sentimental werde, begrüsse ich meinen Gast, der heute für meine letzte Sendung ins Studio gekommen ist. Es ist Sven Broder, Leiter des Reportage-Teams der Zeitschrift annabelle. Wir arbeiten seit Jahren zusammen. Sven Broder ist mein Chef, ich bin seine Stellvertreterin [1]. Nur mag er es gar nicht, wenn ich ihn als “Chef” bezeichne [2]. Dem gehen wir jetzt gleich auf den Grund.
***
Helene: Herzlich Willkommen, Sven, ich freue mich sehr, dass du heute im PodClub-Studio bist.
Sven: Ist mir eine Freude. Vielen Dank für die Einladung.
Helene: Klären wir doch gleich die Frage nach dem Chef-Sein. Du magst es gar nicht, als “Chef” bezeichnet zu werden. Warum nicht?
Sven: Ich werde einfach nicht gerne als Chef vorgestellt von dir, vor allem nicht dann, wenn ich quasi als Privatperson unterwegs bin. Zum Beispiel, wenn ich dich in der Stadt antreffe und du mit Freunden unterwegs bist. Dann wäre ich einfach lieber ein Freund von dir als dein Chef... und ich würde auch lieber als das vorgestellt werden.
Helene: OK
Sven: Sagst du „Chef“ – wissen die anderen ja nicht einmal, ob du hier freiwillig mit mir redest oder nur deshalb, weil ich dein Chef bin.
Helene: Guter Punkt. Aber du hast nun mal eine Führungsposition [3]. Was ist denn für dich gute Führung?
Sven: Wenn sie ehrlich ist, authentisch, nachvollziehbar [4] und verlässlich. Falsch ist sicherlich, zu meinen, man sei als Chef überall der Beste. Denn wer überall der Beste sein will, der erlaubt – ja, der erträgt an seiner Seite im Grunde nur Zweitklassigkeit [5]. Ich hingegen möchte für meine Kolleginnen und Kollegen ein Klima schaffen, in dem sie über sich hinauswachsen [6] können. Und wenn jemand in meinem Team über sich hinauswächst, dann ist die Chance relativ gross, dass er auch über mich hinauswächst.
Helene: Ok. Wie Sie vielleicht wissen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ist die annabelle ein Frauenmagazin. Wir haben zwar 25 Prozent männliche Leser, aber die annabelle richtet sich hauptsächlich an Frauen und wird auch hauptsächlich von Frauen gemacht. Sag mal ganz offen, Sven, wie ist es eigentlich, als Mann auf einer Frauenredaktion zu arbeiten?
Sven: Das werde ich immer wieder gefragt und es ist mir noch nie eine wirklich gute Antwort darauf eingefallen. Es gibt ja nicht DIE Frau oder DAS weibliche Verhalten. Frauen wie Männer sind Individuen und du bist Helene – und ich könnte dir sagen, wie es ist, mit dir zu arbeiten. Und Barbara ist Barbara und Claudia ist die Claudia und Stephanie ist Stephanie. Siehst du da einen gemeinsamen weiblichen Nenner [7]?
Helene: Nein
Sven: Nicht wirklich. Aber was natürlich stimmt ist, dass ich mit mehr weiblichen Themen konfrontiert werde, vor allem beim Mittagessen mit euch: Wir reden über Schwangerschaft, Hormonschwankungen, Wechseljahre, weibliche Sexualität... da kenne ich mich mittlerweile schon recht gut aus und was mich natürlich auch unter meinen Kumpels [8] zum gefragten Mann macht.
Helene: Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Sag mal, du hast früher beim Beobachter und bei der Weltwoche gearbeitet. Auf diesen Redaktionen gibt es mehr Männer als bei der annabelle. Wie hast du die Atmosphäre dort erlebt?
Sven: Also auf beiden Redaktionen, und bei der Weltwoche ganz besonders, hätten ein paar Frauen mehr sicherlich nicht geschadet... Ich glaube sehr an die kreative Kraft der Diversität.
Helene: Mmm. Das Klischee besagt ja, dass Frauen weniger hart diskutieren können als Männer und schnell beleidigt sind. Stimmt das?
Sven: Also, meine Frau würde jetzt wohl sagen, dass ich auch ziemlich hartnäckig [9] beleidigt sein kann. Ich glaube eher, dass manche Frauen weibliches Empowerment irgendwie missverstehen. Auch eine starke Frau darf mal verlieren, Schwäche zeigen. Doch jetzt, wo Frau endlich ihr Potenzial ausschöpfen kann, und auch darf, meinen viele Frauen, dies auch zu müssen. Frauen setzen sich dadurch selber – und leider oftmals auch sich gegenseitig – wahnsinnig unter Druck.
Helene: Ok, kannst du uns eine Anekdote aus deinem Redaktionsalltag erzählen?
Sven: Einmal lief eine ältere Arbeitskollegin aus einer anderen Abteilung vor mir und drehte sich plötzlich um. Da sagte ich ihr, dass ich sie von hinten doch tatsächlich für eine junge Praktikantin gehalten hätte. Ich meinte: „Wow, von hinten siehst du total jung aus.“
Helene: Du, meine Güte! Du hast das sicher als Kompliment gemeint, oder?
Sven: Ja. Aber, genau so kam es natürlich nicht an.
Helene: Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Kommen wir zu unserem Publikum: Ein Grossteil unserer Leserschaft ist weiblich. Wollen Frauen andere Artikel und Reportagen lesen als Männer?
Sven: Nun, Frauen wollen, vielleicht stärker noch als Männer, informiert und zugleich auch unterhalten werden. Und sie wollen die ganze Geschichte erzählt bekommen; wenn es zum Beispiel um islamistischen Terrorismus geht, geht es nicht nur um Religion und Macht und Gewalt, sondern auch um unterdrückte [10] Sexualität, es geht um Erziehung und um Scham [11]. Für diese menschlichen Zwischentöne [12] haben Frauen ein sehr feines Gespür.
Helene: Nun du bearbeitest täglich Texte, diskutierst mit Journalisten über Themen und lehnst auch viele Angebote von Texten ab [13]. Was ist für dich nun ein guter Text?
Sven: Ein guter Text ist noch keine gute Geschichte. Und eine gute Geschichte ist noch kein guter Text. Und ein guter Text mit einer guten Geschichte ist auch noch nicht zwingend [14] guter Journalismus.
Helene: Also, die Frage ist nicht so einfach zu beantworten, wie sie scheint, oder?
Sven: Nein, vielleicht ist es wie bei einem Weinkenner; er kann Ihnen vielleicht nicht auf Anhieb erklären [15], was einen guten Wein ausmacht. Aber geben Sie ihm ein Glas zum Kosten [16] – und er wird Ihnen sagen, was er davon hält.
Helene: Das finde ich ein gutes Beispiel. Nun träumen viele Leute davon, Journalist zu werden. Welche Qualitäten muss man haben, um heute in diesem Job Erfolg zu haben?
Sven: Heute? Hmm. Wollen Sie als News-Journalist bei einem Online-Medium durchstarten, dann müssen Sie mit relativ wenig Schlaf auskommen, dürfen nicht empfindlich auf Stress reagieren, müssen gut und vor allem schnell schreiben und ihre Antennen müssen ständig auf Senden und Empfang stehen. Wollen Sie sich hingegen als Auslandreporterin oder als Autor von grossen Reportagen einen Namen machen [17], dann brauchen Sie vor allem Neugierde, Offenheit, viel Durchhaltewillen [18] und vor allem sehr tiefe Fixkosten.
Helene: Also das heisst, tiefe Fixkosten, weil Journalisten heute immer weniger verdienen.
Sven: Leider ja.
Helene: Die Medienbranche, wir wissen es, ist im Wandel. Inserate, die die Zeitungen und Magazine lange Zeit finanziert haben, brechen weg, Leser und Leserinnen wollen kaum mehr für Informationen bezahlen, sondern holen sich Informationen über Gratiszeitungen oder laden sie kostenlos übers Internet herunter. Was ist zu tun, Sven, damit der Journalismus generell wieder mehr Wert erhält?
Sven: Letztlich bleibt uns nichts anderes übrig, als weiterhin unsere Arbeit so gut, ehrlich, objektiv und transparent zu machen wie möglich. Wer sich unentbehrlich [19] machen will, muss Unentbehrliches liefern.
Helene: Aber es wäre auch nicht das erste Mal, dass man den Wert von etwas erst dann wieder richtig zu schätzen weiss, wenn es mal verschwunden ist, nicht wahr?
Sven: Das ist so. Noch hoffe ich aber, dass technische Innovationen es für Menschen künftig einfacher machen wird, für guten Journalismus spontan und unkompliziert das zu zahlen, was man im Grunde zu zahlen bereit wäre. Womöglich sind in Zukunft aber auch politische und/oder wirtschaftliche Eingriffe nötig, damit der vierten Gewalt [20] im Staat nicht die Luft ausgeht.
Helene: Ja, da hoffen wir, dass es unseren Beruf noch lange geben wird. Denn für mich ist er immer noch DER Traumjob. Sven, ich danke dir ganz herzlich für dieses Gespräch.
Sven: Danke dir.
Helene: Wir werden diese Diskussionen auf jeden Fall weiterführen. Und hiermit verabschiede ich mich von Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Die nächste Sendung ist am 21. Dezember, hier, auf podclub.ch oder via App. Dann, wie gesagt, wieder mit Nora Zukker. Üben Sie bis dahin mit dem Vokabeltrainer in unserer App. Fotos zur Sendung finden Sie wie immer auf Instagram unter #zukkerimleben und #podclubnora. Also dann, auf Wiederhören!